Erkrankungen & Therapien Fachbereich Neurotraumatologie
Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
Unter einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) versteht man die Verletzung des knöchernen Schädels, seiner umgebenden Weichteile und vor allem des Gehirngewebes, verursacht durch direkte Gewalteinwirkung oder als Folge von Verkehrsunfällen oder Stürzen. Bei älteren Menschen über 70 Jahre überwiegen die Sturzursachen, während bei jungen Menschen Verkehrsunfälle im Vordergrund stehen.
Das Schädel-Hirn-Trauma wird nach der sogenannten Glasgow-Coma-Scale (GCS) in drei Schweregrade unterteilt:
- Leichtes SHT: GCS 13 – 15
- Mittelschweres SHT: GCS 9 – 12
- Schweres SHT: GCS 3 - 8
Weiterhin unterscheidet man das gedeckte und das offene SHT. Letzteres ist gekennzeichnet durch eine Perforation der Kopfhaut, des Schädelknochens sowie eine Zerreißung der harten Hirnhaut (Dura mater).
Pathophysiologisch ist zwischen einer primären und sekundären Verletzungsfolge zu unterscheiden. Der primäre Hirnschaden entsteht durch die direkte Gewalteinwirkung im Augenblick des Traumas und führt zu Weichteilverletzungen, Schädelbrüchen und insbesondere zu Gefäßverletzungen und Prellungsherden im Hirngewebe. Der primäre Hirnschaden ist nicht rückbildbar und kann somit nicht therapeutisch beeinflusst werden.
Als Konsequenz aus dem primären Hirnschaden werden im weiteren Verlauf im Schädel biochemische Vorgänge angestoßen, die zu einer Zellschädigung, Hirnschwellung und somit zu einem Anstieg des Hirndrucks führen können. Zum anderen führen (zunehmende) Hirnblutungen, Vasospasmen (Gefäßkrämpfe) und zerebrale Krampfanfälle zu einer Ausweitung des sekundären Hirnschadens, ebenso wie systemische Faktoren, wie die Entgleisung von Temperatur- und Blutzuckerwerten, Störungen der Kreislaufregulation und des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehaltes im Blut. Ziel aller therapeutischen Maßnahmen bei Patienten mit einem SHT ist es diesen sekundären Hirnschaden einzugrenzen und den weiteren Untergang von Hirngewebe zu minimieren um somit das neurologische Defizit nach SHT günstig zu beeinflussen.
Die medizinische und sozio-ökonomische Bedeutung des SHT erkennt man, wenn man die Häufigkeit des Auftretens und seine Folgen betrachtet. In der Bundesrepublik erleiden ca. 280.000 Menschen pro Jahr ein SHT. Hiervon können etwa 5% als schweres SHT klassifiziert werden. Somit werden mehr als 4.000 Patienten jedes Jahr zu dauerhaft Geschädigten, deren schwere Verletzungen sie zu Langzeitpflegefällen werden lässt. Es ist abschließend festzustellen, dass ein SHT bei Kindern bis zum 15. Lebensjahr und jungen Erwachsenen (unter 45-jährigen) mit Abstand die häufigste Todesursache darstellt. Damit trifft diese Verletzung insbesondere junge, aktive Menschen, deren Lebensperspektive durch die Verletzung abrupt verändert wird und damit auch das Leben von Angehörigen und Bekannten nicht unbeeinflusst lässt.
Nach der Erstversorgung durch den Notarzt am Unfallort schließt sich in der Notaufnahme des Krankenhauses die multidsziplinäre Versorgung durch Ärzte verschiedener Fachrichtungen an. Nach Stabilisierung und klinisch-neurologischer Beurteilung wird schnellstmöglich eine sog. Computertomographie des Schädels (CCT) durchgeführt, um lebensbedrohliche intrakranielle Blutungen und Schädelbrüche diagnostizieren zu können. Obligat wird eine CT der Halswirbelsäule ergänzt bzw. je nach Verletzungsmuster ein sog. Polytrauma-Scan angeschlossen um weitere Organ- und/oder Wirbelsäulenverletzungen ausschließen zu können.
Die nachfolgende Behandlung eines Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma richtet sich nach dem neurologischen Zustand, dem Ausmaß der in der Bildgebung festgestellten Verletzungen sowie den evtl. vorhandenen Begleitverletzungen.
Die in der Frühphase notwendigen operativen Maßnahmen des Neurochirurgen haben in der Regel das Ziel, das Leben des Patienten zu bewahren und das Auftreten der sekundären Verletzungsfolgen so weit wie möglich zu begrenzen. Hierzu gehören Operationen, bei denen raumfordernde Blutungen oder grob verlagerte Knochenfragmente entfernt bzw. korrigiert werden.
Zur Messung des Hirndruckes wird häufig bei schweren Hirnverletzungen bereits zu Beginn der intensivmedizinischen Therapie eine Hirndruckmesssonde (ggf. in Kombination mit einer Sonde zur Messung des Sauerstoffpartialdruckes) in das Hirngewebe eingelegt. In wenigen Fällen muss bereits im Frühstadium der Behandlung aufgrund einer ausgeprägten Hirnschwellung die Schädeldecke zum Teil entfernt werden, um Platz für das schwellende Hirngewebe zu schaffen.
Die weitere Behandlung erfolgt auf der multidisziplinären Intensivstation. Es wurden in den letzten Jahrzehnten viele Anstrengungen unternommen, die intensivmedizinische Therapie der Patienten mit SHT zu verbessern. Neben der Hirndruckmessung und Registrierung des Sauerstoffpartialdruckes im Hirngewebe können auch die Hirntemperatur und der pH-Wert überwacht werden. Die Tiefe eines manchmal notwendigen „künstlichen Komas“ (Barbiturat-Koma) kann mit einem permanent abgeleiteten EEG überprüft werden.
Sollte es trotz aller intensivmedizinischen Bemühungen doch zu einer weiteren Verschlechterung des Zustandes des Patienten kommen, kann auch sekundär noch die Entfernung der Schädeldecke zur Senkung eines erhöhten Hirndruckes erwogen werden. Ob es sich hierbei um eine angemessene Therapieform handelt muss in jedem Einzelfall diskutiert werden; die Entscheidung obligt dem behandelnden Neurochirurgen.
Wenn sich im weiteren Verlauf der klinische Zustand des Patienten stabilisiert und es zu keinen pathologischen Hirndruckanstiegen mehr gekommen ist, werden die intensivmedizinischen Maßnahmen reduziert und der Wachheitszustand wiederholt überprüft.
Wenn möglich, kann die Beatmungstherapie beendet werden und sollte im Verlauf auch eine intensivmedizinische Therapie nicht mehr notwendig sein, wird entweder eine Verlegung in eine Klinik mit Frührehabilitation angestrebt oder der Patient sogar auf die Normalstation übernommen.
Bei nur langsamer Besserung der Wachheit oder weiterer Notwendigkeit der atem-unterstützenden Therapie wird in der Regel eine direkte Verlegung in eine spezialisierte und entsprechend ausgestattete Rehaklinik erfolgen.
Insbesondere für Patienten mit schweren Hirnverletzungen gibt es spezielle Zentren, die sich der Aufgabe gewidmet haben, die frührehabilitative Behandlung umfassend zu übernehmen und die eine große Erfahrung in diesem Bereich besitzen. Oft ist eine lang andauernde Reha-Maßnahme notwendig, um eine Wiedereingliederung in die Familie, in das soziale Umfeld und ggf. auch in den Beruf zu ermöglichen.
Das endgültige Ergebnis, d. h. mit welchen bleibenden neurologischen Schäden ein Patient das Trauma übersteht, ist eine Frage, die frühestens nach Ablauf der Rehabilitation beantwortet werden kann. Während dieser Zeit wird auch gemeinsam mit der zuvor behandelnden Neurochirurgischen Klinik entschieden, ob und wann ein entnommener Teil der Schädeldecke reimplantiert werden kann.